Was ist so interessant an Telegram (für Jugendliche)?
Telegram ist zwar für die meisten Jugendlichen nicht relevant. Dass aber bereits jeder zehnte Jugendliche die App nutzt, obwohl ein großer Teil des Freundeskreises nicht auf Telegram präsent ist, kann mehrere Gründe haben:
- Abnabelung: Während Eltern noch auf Instagram, WhatsApp oder sogar Facebook unterwegs sind, wollen die Heranwachsenden unter sich bleiben. Was kann interessanter sein als eine App, die von Teilen der Gesellschaft als verurteilenswert erklärt wird?
- Während die Nutzung von Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Medien bei Heranwachsenden jedes Jahr einen neuen Tiefpunkt erreicht, informieren sich Jugendliche auf alternativen Nachrichtenangeboten, zu denen auch Telegram zählt.
- Der Wunsch nach „zensurfreien“ Nachrichtenangeboten: Dahinter steckt (vor allem bei Verschwörungsanhängern) die Absicht, auf Kanälen informiert zu werden, die nicht von Politik oder Wirtschaft beeinflusst werden können.
- Besonders in der Pubertät wollen Grenzen ausgetestet werden. Dazu zählen neben Computerspielen für Erwachsene, gewaltverherrlichenden oder sexistischen Musiktexten auch kontroverse Online-Plattformen.
- Der Wunsch nach Anonymität: Während Nutzerinnen und Nutzer auf Instagram oder WhatsApp zuweilen mit Klarnamen unterwegs sind, können sie auf Telegram komplett anonym agieren.
- Gleichgesinnte zu heiklen Themen finden: Egal ob Telegram-Gruppen zum Cannabis-Konsum, Kanäle zu rechtsradikaler Musik oder heilsversprechenden Nahrungsergänzungsmitteln – hier ist man unter sich.
Aber auch technische Gründe sprechen dafür, Telegram als Messenger-Alternative zu verwenden:
- Dateigrößen: Bei WhatsApp dürfen Dateien maximal 100 Megabyte groß sein, bei Telegram hingegen 1,5 Gigabyte. Das ist genug Speicherplatz für Filme, Serien oder Computerprogramme.
- Auf Telegram können Gruppen bis zu 200.000 Teilnehmer beherbergen.
- Wer viel am PC arbeitet oder spielt, will nicht ständig zum Smartphone greifen, um Nachrichten abzurufen. Telegram kann (wie mittlerweile auch WhatsApp) am Rechner bedient werden.
- Die Kanal-Funktion erlaubt unilaterale Kommunikation. Der Kanalersteller kann kommunizieren, die Kanal-Follower hingegen nicht. In private Kanäle kann man nur über einen Einladungslink eintreten oder vom Kanal-Ersteller eingeladen werden.
Darüber hinaus bietet Telegram umfangreichere Funktionen als WhatsApp, u. a. eine Kommentarfunktion, ein Umfrage-Tool sowie Sprach- und Video-Posts. Die technischen Möglichkeiten erinnern mehr an ein soziales Netzwerk als an einen Messenger.
Welche inhaltlichen Risiken gehen von Telegram aus?
Welche Inhalte ihre Kinder auf Telegram konsumieren, wird aber Eltern mehr Sorgenfalten bereiten, als die oben genannten Datenschutzprobleme. Seit der Pandemie ist Telegram in Deutschland für Verschwörungstheorien, Desinformationen, Morddrohungen und verfassungsfeindliche Inhalte bekannt. In Gruppen tummeln sich neben Coronaleugnern, Holocaust-Leugnern auch Rechtsradikale und Islamisten. Man geht von über 500 rechtsradikalen Kanälen aus, von denen die größten über 120.000 Mitglieder haben. Für Heranwachsende besteht ein Risiko, dass sie in Telegram-
Kanälen oder Gruppen immer weiter in den „Kaninchenbau“ von kruden Theorien und Weltanschauungen hineingezogen werden.
Darüber hinaus ist Telegram als eine Art „öffentliches Darknet“ in Verruf gekommen, welches als Drogenumschlagplatz genutzt wird. In unzähligen Gruppen können weiche und harten Drogen, wie Marihuana, Ecstasy und Kokain lokal geordert werden. Aber auch Raubkopien, Kontodaten oder gefälschte Dokumente werden auf Telegram feilgeboten.
Was können Eltern tun?
Gut zuhören
Eltern, die ihren Kindern gut zuhören, verstehen auch, was in deren Medien-Welt vor sich geht. Leider schalten Eltern gerne ab, wenn sie das Gefühl beschleicht, die Jugend-Worte – speziell mit Gaming-Bezug – nicht zu verstehen. Wie bei einer Fremdsprache baut sich der Wortschatz aber dadurch auf, bewusst zuzuhören. Die Chance, auch Probleme oder kritische Mediennutzung zu erkennen, steigt mit dem aktiven Zuhören.
Gemeinsam soziale Medien erschließen
Eltern sollten wissen, auf welchen Messengern ihre Kinder unterwegs sind und auch an welchen Gruppen sie teilnehmen. Hilfreich ist, wenn sich Eltern die Funktionen von Messengern, wie Emojis, Stickern, Bots, erklären lassen. Das ist für Erwachsene sehr lehrreich und Kinder werden sich wiederum wertgeschätzt fühlen, wenn das Interesse ernst gemeint ist.
Sich mit Altersempfehlungen auseinandersetzen
Im Google Playstore ist Telegram mit einer USK-18-Einstufung („ab 18 Jahren geeignet“) benötigt der Zustimmung der Eltern. In großen Familien lohnt es sich, alle Familienmitglieder für die Altersfreigaben zu sensibilisieren. So sollten ältere Geschwister darauf achten, dass die jüngeren Geschwister bei der Nutzung von sozialen Netzwerken nicht anwesend sind. Auch Verwandte sollten sich daranhalten.
Regeln gemeinsam vereinbaren und aufschreiben
Um den Umgang mit Messengern, wie WhatsApp oder Threema zu regeln, bietet sich die Vorlage des Mediennutzungsvertrags an. Das schriftliche Festhalten verhindert im Nachhinein sinnlose Diskussionen, die mit „Du hast aber gesagt, dass …“ beginnen. Dies soll nicht zum schriftlichen Knebel verkommen, sondern eine Grundlage zum Dialog bzw. zum gemeinschaftlichen Aushandeln der Regeln bieten. Diese Maßnahme kann auch helfen, dass Kinder aufmerksamer über den Sinn und Zweck der Bestimmungen nachdenken und gegebenenfalls konstruktiv mitbestimmen.
Über Risiken offen reden
Eltern können ihre Kinder dabei unterstützen, Risiken (on- und offline) zu erkennen und richtig einzuschätzen. Hierbei ist ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Kindern sowie eine entspannte Gesprächsatmosphäre hilfreich. Vermieden werden sollten Verhör-Methoden, Verallgemeinerungen in Gut und Schlecht oder das Lächerlich-machen von Themen, die Kindern ernst sind. Bei dem Gespräch kann auch erklärt werden, dass Kinder andere gefährden, wenn sie riskante Challenges, die zum Nachmachen einladen, weiterleiten.
Stärken stärken, Grenzen setzen
Kinder, die über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügen, sind eher in der Lage „Nein“ zu sagen und dem Gruppendruck nicht nachzugeben. Wenn Kinder sich ihrer eigenen Stärke und ihrem elterlichen Rückhalt bewusst sind, aber auch wissen, wo ihre Eltern klare Grenzen setzen, kann das problematisches Verhalten verhindern.